Darf ich mein Kind tracken? Eine rechtliche Einordnung

Vor einiger Zeit haben wir unsere Community auf Instagram und Facebook dazu aufgefordert, uns ihre Fragen zum Thema GPS-Tracking zu schicken. Dabei sind einige zusammen gekommen!
In Zusammenarbeit mit Olivia Alig, Rechtsanwältin und zertifizierte Mediatorin aus Frankfurt am Main, haben wir uns die Fragen vorgenommen und freuen uns, Ihnen die Antworten präsentieren zu können.

Was ist Tracking?

Tracking bezeichnet das Nachverfolgen von Aktivitäten mittels des Internets. Wir kennen es aus unserem Alltag, wenn wir beispielsweise tracken, wann unser Paket zu uns kommt. Doch man kann nicht nur Pakete tracken, sondern auch Menschen. Mit Hilfe von GPS-Trackern im Smartphone oder in der Smartwatch lässt sich der Aufenthaltsort bestimmen. Für einige Eltern wird das Thema relevant, wenn das eigene Kind die ersten eigene Wege übernimmt, z.B. alleine zur Schule geht. Auf dem eigenen Gerät können Eltern dann nachverfolgen, ob das Kind den abgesprochenen Weg nimmt und ob es am Ziel ankommt. Eine praktische technische Lösung, die nicht nur das Sicherheitsbedürfnis von Eltern befriedigen, sondern auch Kindern ein Gefühl von Sicherheit vermitteln kann. Doch das Thema ist nicht nur positiv zu sehen. Beim GPS-Tracking werden wichtige Rechte der Kinder berührt, auch Datenschutz ist ein nicht zu vernachlässigendes Thema.

Ihre Fragen beantwortet:

➡️ Welche verfassungsrechtlich geschützten Rechte des Kindes werden durch das Tracking berührt? 

Durch Tracking sind die elementaren Grund- & Freiheitsrechte des Kindes nach Art. 1 und Art. 2 Grundgesetz (GG) betroffen: Das Recht auf Würde, das Allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die Rechte auf freie Entfaltung, Informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz.

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Das „Überwachen“ der eigenen Kinder ist grundsätzlich durch das Erziehungsrecht und die Fürsorgepflicht der Eltern abgedeckt. Im Rahmen der Personensorge haben Eltern die Aufsichtspflicht über ihre Kinder und für deren Schutz und das Kindeswohl zu sorgen (§§ 1626, 1631 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). 

Jedoch: Durch den Einsatz von Tracking-Tools, also dem technischen „Überwachen“, sind elementare Grund- und Freiheitsrechte des Kindes nach Art. 1 und Art. 2 Grundgesetz (GG) betroffen: 

–  das Recht auf Würde, 

–  das Allgemeine Persönlichkeitsrecht inklusive dem Recht auf freie Entfaltung,

–  das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung und 

–  Datenschutz. 

Die Kinderrechte stehen (noch) nicht im GG, so dass sie kein Verfassungsrang haben. Sie gelten vielmehr in Deutschland durch die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) wie ein Bundesgesetz. Das Beteiligungsrecht von Kindern nach Art. 12 UN-KRK steht daher gleichrangig neben den familienrechtlichen Bestimmungen des BGB. Beim Tracking sind die Grund- & Freiheitsrechte des Kindes mit der Erziehungspflicht, der Fürsorge- und Aufsichtspflicht der Eltern miteinander abzuwägen und eine verhältnismäßige, einvernehmliche Erziehungsentscheidung zu treffen. Diese muss sich am Kindeswohl orientieren, z.B. auch keine entwicklungsbeeinträchtigende „Überwachung“ beinhalten. Außerdem ist seitens der Eltern zu berücksichtigen, dass keine sensible Daten des Kindes an Dritte weitergegeben werden (BDSG, DSGVO). Die Grundrechte und die Kinderrechte gelten zwar vorrangig gegenüber dem Staat. Sie sind jedoch ebenfalls bei der Auslegung von Gesetzen „hineinzulesen“. Die Rechte der Kinder sind insofern auch von Eltern bei der Erziehung, also beim Tracking zu beachten. Aus den Grundrechten, dem Kinderrecht auf Beteiligung (Art. 12 UN-KRK) und aus § 1626 Abs. 2 BGB* ergibt sich ein Anspruch des Kindes, zumindest über das Tracking informiert und/oder, je nach Alter und Entwicklungsstand, gefragt zu werden. Da es sich beim Tracking um eine Angelegenheit mit erheblicher Bedeutung für das Kind handelt, müssen sich beide Elternteile einig sein (vgl. § 1628 BGB). 

 

* § 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze

(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.

➡️ Dürfen Kinder auch ihre Eltern tracken?

Ohne Einwilligung ihrer Eltern dürfen Kinder diese nicht tracken. 

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Was für die „Kleinen“ gilt, muss nicht umgekehrt für die „Großen“ gelten. – Es sind strengere rechtliche Anforderungen an die Zulässigkeit des Trackings der Eltern zu stellen. Kinder haben nämlich selbst kein Erziehungsrecht bzw. keine diesbezügliche Pflicht gegenüber ihren Eltern, wie z.B. Aufsichts- und Schutzpflichten. Hier fällt daher die Antwort negativ aus, wenn die Eltern jeweils nicht in das Tracking eingewilligt haben (Art. 1, 2 GG, § 51 BDSG, Art. 6ff DSGVO). Aus dem Gedanken des Einvernehmens des § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB könnte jedoch argumentiert werden, wenn Eltern ihre Kinder tracken, dies auch innerhalb der Familie für alle gelten sollte. Das könnte beispielsweise auch das Ergebnis einer Familienkonferenz sein, in der über das gewünschte Tracking, die Details (wann, wo, wie) und die Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten gesprochen wurde. Das Interesse und Sicherheitsbedürfnis von Kindern könnten beispielsweise sein, dass sie wissen, wo ihre Eltern sind.

 

* § 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze

(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.

➡️ Welche Tracking-Tools sind in Deutschland erlaubt? Welche Rolle spielt der Staat bei der Regulierung von Tracking-Tools?

Tracking-Tools mit Abhör- und/oder Aufnahmefunktion sind in Deutschland verboten und müssen sogar vernichtet werden. Zuständig ist dafür die Bundesnetzagentur. GPS- und GSM-Tracker, die ausschließlich der Ortung dienen, fallen nicht unter dieses Verbot.
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Tracking-Tools werden in Deutschland nicht „erlaubt“, sondern rechtswidrige Tools sind verboten. Zuständig ist dafür die Bundesnetzagentur. Auf ihrer Website findet sich eine Liste mit rechtswidrigen Produktkategorien (Link, s.u.).

Sämtliche verbotenen Tracking-Tools haben eine Abhör- und/oder Aufnahmefunktion (§ 8 TTDSG, Missbrauch von Telekommunikationsanlagen). Hier stehen die Rechte unbeteiligter Dritter im Fokus, z.B. deren Grund- und Datenschutzrechte (nach dem GG, BDSG, DSGVO). – Beispielsweise wurden Kinderuhren mit Abhörfunktion verboten, oft bezeichnet als “voice monitoring”, “Babyphonefunktion” oder “one-way conversation”, also auch sogenannte Smartwatches. Das Mikrofon dieser Uhren kann von den Eltern jederzeit aktiviert werden, ohne einen Anruf o.ä. zu tätigen. Alle Stimmen und Geräusche im Umfeld der Uhr können dann seitens der Eltern mitgehört werden. Dies können weder das Kind, noch die Gesprächspartner:innen oder andere beim Kind anwesenden Personen erkennen. Das Verbot von Spionage-Tools soll vorrangig das Umfeld von Kindern schützen und unbemerktes Abhören verhindern. Im Falle der Rechtswidrigkeit erlässt die Bundesnetzagentur neben dem Verbot auch eine Vernichtungsverfügung. Die Zerstörung muss anschließend nachgewiesen werden. Es kommt sogar eine Strafbarkeit nach § 27 TTDSG in Betracht.

Sogenannte GPS- und GSM-Tracker verstoßen nach eigenen Angaben der Bundesnetzagentur nicht gegen § 8 TTDSG , wenn sie ausschließlich der Ortung dienen.


Siehe:

Hinweise zu diversen trackingfähigen Geräten von der Bundesnetzagentur


Datenschutzhinweis der Bundesnetzagentur



Verbraucherinformation der Bundesnetzagentur

➡️ Wie sieht die rechtliche Lage aus, wenn mein Kind nicht mit dem Tracking einverstanden ist?

Grundsätzlich sind Kinder, je nach Alter und Entwicklungsstand, bei der Erziehung mit einzubeziehen. Dabei soll Einvernehmen angestrebt werden. Die letzte Entscheidung treffen jedoch die Eltern unter Abwägung des Erziehungsrechtes mit dem Kindeswohl, den Grund-, Freiheits- und Kinderrechten.

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Solange keine gewaltvolle Erziehungsmaßnahme (vgl. § 1631 Abs. 2 BGB) oder eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, obliegt die Entscheidung über Erziehungsmaßnahmen grundsätzlich den Eltern (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Allerdings müssen sie dabei das Ziel der Verwirklichung des Kindeswohls beachten. Die Grund- und Freiheitsrechte der Kinder (Art. 1, 2 GG) und die Kinderrechte nach der UN-KRK sind zur Auslegung der Bestimmungen zur Personensorge, z.B. § 1626 Abs. 2 BGB* heranzuziehen und damit auch von den Eltern zu beachten. Eltern müssen ihre Erziehung unter Abwägung des diesbezüglichen Rechtes und der Pflicht mit dem Kindeswohl, den Grund-, Freiheits- und Kinderrechten ausüben. Dazu gehört grundsätzlich auch die Berücksichtigung des Kindeswillens, der seinerseits im Kindesinteresse mit umfasst ist („best interests of the child“, Art. 3 UN-KRK). Eltern müssen sich bemühen, Einvernehmen mit ihrem Kind herzustellen, dieses je nach Alter und individuellem Entwicklungsstand beteiligen und zumindest über das Tracking informieren (Art. 12 UN-KRK, § 1626 Abs. 2 BGB*). 

Die Frage lässt sich jedoch nicht alleine rechtlich beantworten. Letztlich muss jede Familie ihren eigenen „Familienfrieden“ finden. Es handelt sich um einen ständigen Aushandelsprozess, wie stets beim Thema Erziehung. Ggf. könnte mit dem Kind, das nicht getrackt werden will, transparent das technische Überwachen auf notwendige Situationen verhandelt werden. Die Details des Trackings des Kindes (wann, wo, wie) können gemeinsam bestimmt werden. Innerhalb der Familie könnte auch eine Vereinbarung ausgehandelt werden, ggf. auch durch die Inanspruchnahme von Erziehungsberatung oder Mediation. Um eine gleichberechtigte Lösung zu finden, können Eltern im Gegenzug das Tracking ihrer Person ebenfalls erlauben oder insgesamt eine Familienfreigabe vereinbart werden.

 

* § 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze

(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.

➡️ Gibt es rechtliche Einschränkungen in Bezug auf das Tracking von Kindern während der Schulzeit?

Es gilt insbesondere das von der Bundesnetzagentur beaufsichtigte Verbot, Produkte einzusetzen, die eine Spionagefunktion haben. Zudem sind in Schulen neben dem Schulrecht des jeweiligen Bundeslandes auch deren Hausrecht zu beachten. Schulen können ebenfalls Verbote aussprechen.

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Sich als Eltern einfach in den Schulunterricht oder in den Pausenhof „einzuschalten“, um zu hören, was Lehrer:innen unterrichten oder ob ggf. das eigene Kind gemobbt wird, ist verboten. Dies ergibt sich bereits aus dem allgemeinen, gesetzlichen Verbot des Einsatzes von Spionage-Tools (§ 8 TTDSG, Missbrauch von Telekommunikationsanlagen). Insbesondere in der Schule würden damit stets weitere Personen und nicht nur das eigene Kind abgehört (Lehrer:innen, Mitschüler:innen, etc.). Zudem gilt in der Schule zusätzlich das Schulrecht des jeweiligen Bundeslandes und das eigene Hausrecht. Schulen können daher ebenfalls ein Verbot aussprechen.

Die Bundesnetzagentur rät insbesondere Schulen, verstärkt auf Uhren mit Abhörfunktion bei Schüler:innen zu achten. Wenn der Bundesnetzagentur dies bekannt wird, fordert sie sogar die Eltern auf, das Produkt zu vernichten und einen Nachweis darüber zu übermitteln.

Letztlich bedarf es in Institutionen auch beim Einsatz von (rechtmäßigen) Tracking-Tools einer Einigung und Abwägung zu den Themen Freiheit, Fürsorge, Schutz, Kontrolle und Aufsichtspflicht. Dies, um zu versuchen, die unterschiedlichen Rechte, Interessen und Bedürfnisse von Schüler:innen, Eltern und Schule in Einklang zu bringen. Hier könnte sich auch eine Schulmediation anbieten.

(siehe:

Bundesnetzagentur geht gegen Kinderuhren mit Abhörfunktion vor

Ver­bo­te­ne Spio­na­ge­ge­rä­te der Bundesnetzagentur)

Exkurs: Das Tracking seitens der Schule selbst (oder anderer staatlicher Institutionen), ohne Einwilligungen beider Elternteile und ohne des Kindes, würde gegen Grundrechte und Datenschutzbestimmungen verstoßen (Art. 1, 2, 6 GG, Art. 6, 8 DSGVO i.V.m. § 1629 BGB) sowie gegen die Kinderrechte, u.a. Art. 16 (Recht auf Privatsphäre) und Art. 12 UN-KRK (Beteiligungsrecht). – Der Staat, also die Schule, ist direkter Adressat der Grundrechte als Abwehrrecht, der Kinderrechte nach der UN-KRK (die in Deutschland den Rang eines Bundesgesetzes hat) und des Elternrechtes nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG.

Dieser Blogbeitrag ist in Kooperation mit Olivia Alig, Rechtsanwältin & Mediatorin (www.medienanwaeltin.de & www.online-mediation-beratung.de) entstanden. 

Wir danken Olivia Alig für ihre Unterstützung!

SiE wünschen sich weitere informationen?

📌 Ende April 2024 wird es eine Wiederholung unseres Online-Elternabends “Sicher, Smart, Selbstbestimmt – Smartwatches und GPS-Tracking unter der Lupe” geben.

Haben Sie Interesse, daran teilzunehmen?

Melden Sie sich kostenlos unter info@kinderrechte-digital-leben.de und wir senden Ihnen alle weiteren Informationen.

Mädchen schaut auf ihre Smartwatch

Hier haben wir einige interessante Links für Sie zusammengestellt:

➡️ Fachbeitrag zum Thema Tracking:

Tracking + Parenting = ? Eine nicht nur rechtliche Beurteilung 

Ein Beitrag über das technische Überwachen von Kindern durch ihre Eltern von Olivia Alig, Rechtsanwältin & Mediatorin, Frankfurt/M.

➡️ Feature zum Thema Tracking:

Elterliche Aufsichtspflicht und Kinderrecht: Ich weiß, wo du bist

von Christina Rubarth aus dem Podcast Zeitfragen.Feature

➡️ Hörbeitrag zum Thema Smartwatch:

Smartwatch für Siebenjährige?: Einstieg ins digitale Leben

von Caro Korneli und Marcus Richter aus dem Podcast Plus Eins

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